German Language Asked on February 8, 2021
Ist es korrekt, mit der Vorsilbe nicht Adjektive zu bilden?
Ich möchte das Wort literarisch verneinen.
Wenn ich die Vorsilbe un verwende, entsteht das Wort unliterarisch.
Wenn ich aber von etwas behaupte, es sei unliterarisch, klingt es, als handle es sich dabei um schlechte Literatur:
„Die unliterarischen Beiträge in der Zeitschrift haben mir nicht gefallen.“
Ich möchte aber mit dem Wort ausdrücken, dass ich die Beiträge, die nicht der Gattung Literatur zuzuordnen sind, nicht mag: etwa, wenn es in einer Kunstzeitschrift Literatur und Bilder gibt.
Meine Lösung wäre hier, nicht als Präfix zu verwenden:
„Die nichtliterarischen Beiträge in der Zeitschrift haben mir nicht gefallen.“
Ist das eine korrekte Anwendung der deutschen Sprachregeln?
Oder sollte man nichtliterarisch besser nicht literarisch oder nicht-literarisch schreiben, oder es anders ausdrücken?
In einer (unvollständigen) Liste deutscher Präfixe bei Wikipedia wird die Vorsilbe un zur Verneinung von Adjektiven explizit genannt, das Wort nicht jedoch nicht. Es wird auf Halbpräfixe verwiesen:
Präfixe, die als eigenständige Wörter verwendbar sind, werden als
Halbpräfix bezeichnet.
Außerdem wird in einer ebenfalls quellenlosen Fußnote angemerkt:
Spontane Wortschöpfungen durch Präfixe und Halbpräfixe begegnen uns
täglich in den Medien. Ob sich diese Neologismen dauerhaft etablieren,
ist offen. Der deutsche Wortschatz ist deshalb von ständigen
Zuwanderungen und Abwanderungen betroffen.
Dann verweist Wikipedia auf Wiktionary, wo eine einzige Bedeutung von Halbpräfix angeführt ist:
Linguistik: grammatisches Morphem, das in seiner Form einem Lexem
gleicht, aber nicht die Bedeutung dieses Lexems hat. Es wird wie ein
Präfix für die Ableitung verwendet.
Dort wird canoo.net als Quelle genannt, wo allerdings wenig zum Halbpräfix steht: Nomen, Neutrum, Link zum DWDS.
Das DWDS kennt Halbpräfix aber nicht.
Weiter wird auf das „Lexikon der Sprachwissenschaft“ von Hadumot Bußmann verwiesen.
Dort steht (unter Präfixoid) Ähnliches wie bei Wiktionary.
Bei Metzler ebenso, mit dem Zusatz, dass das Konzept heutzutage umstritten sei.
Der Duden führt in der Rechtschreibregel D 60 Punkt 2 (https://www.duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/getrennt-und-zusammenschreibung#D60) an, dass "Verbindungen mit nicht als erstem Bestandteil getrennt oder zusammengeschrieben werden"
Beispiele:
Von einer Schreibung mit Bindestrich wird allerdings nichts erwähnt und ist daher nicht dudenkonform (oder nichtdudenkonform, aber nicht nicht-dudenkonform)
Answered by hm1912 on February 8, 2021
Auf http://www1.ids-mannheim.de/kl/projekte/methoden/derewo.html kann man sich eine Liste aller deutschen Wörter herunterladen. Ich habe das schon vor einiger Zeit gemacht, die Liste in eine Datenbank eingepflegt, und kann nun darin komfortabel suchen. (Nein, diese Suche ist nicht öffentlich verfügbar.)
Ich habe nach Wörtern gesucht, die mit »nicht∙« beginnen, und mit »∙isch« enden. Dazu habe ich mir auch die Häufigkeitsklasse ausgeben lassen. (Das häufigste deutsche Wort ist »der«, seine Häufigkeit definiert die Klasse 0. Wörter, die halb so häufig sind, gehören zur Klasse 1, ein Viertel der Häufigkeit entspricht Klasse 2, ein Achtel Klasse 3, usw.)
Gefunden habe ich 59 Wörter, die in dieses Schema passen (in Klammer die Häufigkeitsklasse). Hier ist eine kleine Auswahl daraus:
Eine andere Suche lieferte z.B. auch »nichterwerbstätig«, »nichtgläubig« »nichtschuldig«, »nichtöffentlich«, »nichtbehindert«, »nichtehelich«, »nichtsesshaft« und viele mehr. Das heißt: Es ist durchaus möglich, an Adjektive das Präfix »nicht∙« anzufügen, und es wurde auch schon mehrfach getan.
Wie man sieht, kommt auch das Wort »nichtliterarisch« in diesem Korpus vor, und es hat die Häufigkeitsklasse 23. Das heißt, es ist ungefähr gleich häufig wie »Abnäher«, »Benzinverkäufer«, »Chaostheoretiker« oder »Damenschlüpfer«, die alle ebenfalls zur Frequenzklasse 23 gehören.
(Frequenzklasse 23 bedeutet übrigens: Wenn in einem Text 8 Millionen mal das Wort »der« vorkommt, ist rein statistisch mit ungefähr einem Exemplar des Wortes »nichtliterarisch« zu rechnen.)
Answered by Hubert Schölnast on February 8, 2021
Ich halte die Bildung von Adjektiven mit dem Präfix (oder Halbpräfix oder Präfixoid) "nicht" für durchaus zulässig, auch wenn solche Wörter in der Praxis selten vorkommen, weil es meistens unkompliziertere (! - nicht etwa "nichtkomplizierte") Lösungen gibt.
In der Praxis ist mir zuletzt häufig
nichtfinanzielle Indikatoren
begegnet - dies natürlich in Texten aus Mund und/oder Feder von Wirtschaftswissenschaftlern und Betriebswirten, die sich mit dem Messen von Unternehmenserfolg und performance beschäftigen. Hier scheint mir das Wort eingebügert. Es kommt natürlich aus dem Englischen, wo man von non-financial indicators spricht.
Weiter ist im Bildungsbereich die Rede von formaler und non-formaler Bildung oder eben
nicht-formaler Bildung
welche fachsprachlich streng unterschieden wird von informeller Bildung, auch wenn das Adjektiv-Triplet hier insgesamt doch etwas nichtglücklich zusammensteht, weil der Unterschied zwischen informell und nicht-formal dem nichteingeweihten Nichtpädagogen in der Regel nichtverständlich bleiben wird.
Da nicht-Bildungen aber vorkommen, sehe ich keinen Grund, warum an anderer Stelle man nicht dem Beispiel folgen sollte. Natürlich nur dort, wo durch Bildung mit dem etwas sperrigen nicht ein Wort entsteht, das etwas ausdrückt, was man nicht auch mit herkömmlichen Negationsvorsilben hätte ausdrücken können. Einen Unterschied zwischen unnötigen Wörtern und nichtnötigen Wörtern sehe ich nämlich nicht.
Dein Beispiel mit
nichtliterarischen Beiträgen
in einer Kunstzeitschrift scheint mir gut und zulässig, weil unliterarische Beiträge ja danach klängen, als stelle man die Qualität der Literatur in Frage, dabei geht es dir ja um die Einordnung als - eben - nicht der Literatur als Gattung zugehörig. Da "un-" in diesem Zusammenhang schon besetzt ist, verwendest du ausweichend "nicht-" und schaffst eine neue Bedeutung. Nicht unklug!
Ein theorieorientierter Nachtrag:
Weiter drüber nachdenkend kommt mir folgende Frage: Könnte es sein, dass die Vorsilbe "un-" (oder ihre gräkoromanischen Cousinen) in unserem Hirn primär mit der Bedeutung "Gegenteil von" behaftet ist, während "nicht" lediglich das "Fehlen einer Eigenschaft" bezeichnet?
unamerikanisch
(ein Wort, das zuletzt sehr häufig zu hören ist) bedeutet ja: "das Gegenteil von dem, was wir als positive Eigenschaften des US-amerikanischen Bürgers und Staates postulieren", was eine eindeutig negative Zuschreibung ist (im Sinne derer, die diesen Ausdruck gebrauchen jedenfalls), während
nichtamerikanisch
nur meint: "bar der Eigenschaft des Amerikanischseins", was zunächst mit keiner Wertung verbunden ist.
Allerdings scheint dieser Bedeutungszusatz (negative Bewertung) in bestimmten Zusammenhängen unsichtbar zu werden:
unnötig
unzweifelhaft
unsichtbar
denn diese lassen sich synoynm mit "nicht nötig", "nicht zweifelhaft" und "nicht sichtbar" ersetzen.
Daraus ziehe ich die Theorie: "un" bedeutet "negativ", sofern der logische Zusammenhang einen Skalenwert unter Null zulässt. Ist dies logisch nicht gegeben, sind "un" und "nicht" synonym.
Zweifel habe ich bei
Er fühlt sich nicht wohl
versus
Er fühlt sich unwohl
Ist "unwohl" negativer als "nicht wohl"? Ist "nicht wohl" nur "nicht positiv wohl", während "unwohl" gleich "konkret negativ anti-wohl" ist?
Answered by Christian Geiselmann on February 8, 2021
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